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Schreckliches

03/06/2006 Die Presse   

"Im Krieg ist viel Schreckliches passiert." Ein Satz und seine Sager: was Alois Brandstetter mit Hermann Nitsch und dem Bürgermeister von Hadersdorf verbindet.

Von Konstantin Kaiser

I. Im Krieg ist viel Schreckliches passiert. Dieser Satz klingt plausibel, und wir haben ihn daher alle schon gehört. Auch in literarischer Form. Kollege Alois Brandstetter, Germanist in Klagenfurt und preisgekrönter Schriftsteller, hat ihn, 1987, nach der Wahl Kurt Waldheims zum Bundespräsidenten, etwas modifiziert in seine "Kleine Menschenkunde" aufgenommen. Kollege Alois Brandstetter wollte sich nicht mit den Hirngespinsten der Zeitgeschichte und der Aufklärung über die sogenannte Vergangenheit abgeben, sondern darüber reden, was die "Menschen" tatsächlich empfanden und empfinden. Lasst euch nichts vormachen! Was bewegte unsere Menschen wirklich in den Vierzigerjahren des 20. Jahrhunderts, während deren "rundum in Europa und darüber hinaus der grausamste Krieg geführt wurde"?

Als ich damals zufällig Brandstetters Buch las, dachte ich nur: Grausamster Krieg - kann man die Grausamkeiten dieser Kriegszeit einfach dem Krieg als seine Folgen zuschreiben? (Kollateralschäden, wie man heute sagen würde?)

II. Im Krieg ist viel Schreckliches passiert. Als Kollege Hermann Nitsch mit seinem Orgien-Mysterien-Theater am Wiener Burgtheater gastierte, wurde er zum Interview gebeten. Nachdem er seine Verehrung für Friedrich Nietzsches ewige Wiederkehr des Gleichen und C. G. Jungs Lehre von den Archetypen des kollektiven Unbewussten ausgedrückt hatte, kam er auf sich selbst zu sprechen: "Nach dem Krieg, in dem so viel Schreckliches passiert ist, haben wir junge Künstler der Sprache misstraut. Anstatt mit Wörtern in die Wirklichkeit vorzudringen, hat uns das unmittelbare Erlebnis viel mehr interessiert." Inzwischen wusste ich schon, was der Satz bedeutet, sagte es aber nicht unverhüllt. Ich wies nur darauf hin, dass das Misstrauen in die Sprache für Hermann Nitsch eine Grenze zu haben schien: Es war kein Misstrauen in die eigene Sprache, nur ein Misstrauen in die Sprache überhaupt, die Sprache über allen Häuptern, die gemeinsame Sprache.

III. Im Krieg ist viel Schreckliches passiert. Ein Bericht der "Presse" vom 27. März 2006: "Am 6. April 1945 - vier Wochen vor Kriegsende und am Tag, als die Rote Armee mit dem Sturm auf Wien begann - wurden Insassen der Strafanstalt Stein freigelassen. Die meisten von ihnen waren wegen politischer Delikte eingesperrt. Auf dem Weg nach Wien fielen sie in die Hände von Volkssturm, SS und Gendarmerie: 61 von ihnen wurden an der Friedhofsmauer erschossen. 61 Jahre [danach] gibt es in der niederösterreichischen Gemeinde Hadersdorf/Kamp Streit um die Art des Gedenkens an dieses Massaker. Ein Verein will ein Denkmal im Ortszentrum errichten. Die Positionen sind verhärtet: Der Verein hatte die Forderungen nach einer Gedenkstätte Anfang 2005 an die Gemeinde herangetragen - monatelang wurde darüber verhandelt. Bernd Toms (VP), Bürgermeister und Landtagsabgeordneter, ,glaubt, dass eine Tafel im Friedhof ausreiche. Eine Gedenkstätte im Zentrum würde hier nicht hinpassen. Man muss die Stimmung in der Gemeinde berücksichtigen. Wir sind alle jung und haben mit alledem nichts am Hut. Ich sehe nicht ein, dass sich eine ganze Gemeinde in Geiselhaft nehmen lassen soll. Krieg ist Krieg. Es ist fürchterlich, was damals passiert ist. Es hat auch nachher Verbrechen gegeben, Nazis sind aufgrund von Denunzianten-Aussagen erschossen worden.'"

Krieg ist Krieg. Es ist fürchterlich, was damals passiert ist. Diplomingenieur Bernd Toms hat unmissverständlich klar gemacht, was der Satz bedeutet. Er bedeutet die Weigerung, zwischen Recht und Unrecht zu unterscheiden. Der Bürgermeister ist ein Kenner der niederösterreichischen Bauordnung, aber von der Bestrafung von Kriegsverbrechen oder von Verbrechen gegen die Menschlichkeit will er nichts hören. Das ist in seinen Augen Siegerjustiz.

In Hadersdorf beteiligten sich der Ortsbauernführer, der Ortsgruppenleiter, Angehörige des Volkssturms und der Hitler-Jugend an der Gefangennahme und Erschießung der freigelassenen Häftlinge. Ihre Nachkommen leben in Hadersdorf und "sind alle jung und haben mit alledem nichts am Hut". Einer betreibt einen Heurigen, und mit seinem Hausbesitz und dem Weinberg, auf dem seine Reben reifen, steht er nicht erst, seit Bernd Toms Bürgermeister ist, im Grundbuch. Manches, das weit in die Vergangenheit zurückgeht, scheint doch unentbehrlich.

IV. Im Krieg ist viel Schreckliches passiert. - Soviel ich weiß, ist Bernd Toms noch immer Landtagsabgeordneter und Bürgermeister von Hadersdorf-Kammern am Kamp und somit Baubehörde erster Instanz, an der kein Denkmal vorbeikommt.

Soviel ich weiß, gilt Hermann Nitsch all jenen, die in gesicherten Verhältnissen leben, nach wie vor als ein Stachel, mit dem sie ihre matten Seelen je nach Bedarf lustvoll kitzeln oder zu gerechter Empörung erigieren können.

Soviel ich weiß, behauptet Alois Brandstetter seit vielen Jahren unangefochten seinen Platz in der "Literatur", wenn es auch eher ein Platz im alpenländischen Akademiker-Bücherschrank ist, an dem Ort eben, wo statt eines menschlichen Herzens ein Karl Heinrich Waggerl schlägt.

Konstantin Kaiser. In Innsbruck 1947 geboren. Dr. phil. Autor, Literaturwissenschaftler. Gemeinsam mit Siglinde Bolbecher Herausgeber des "Lexikons der österreichischen Exilliteratur" (Deuticke). Sekretär der Theodor-Kramer-Gesellschaft.

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